In meinem vorherigen Mandat habe ich mich rund ein Jahr mit der für mich neuen Frage beschäftigt, wie Digitalisierung für eine Krankenversicherung im Schweizer Markt aussehen kann. Der Kunde, für den ich arbeitete, stand dabei keineswegs am Anfang seiner Digitalisierungsreise, sondern hatte bereits in den letzten Jahren stark in die Digitalisierung investiert. Was aber ist der grosse Irrtum bei der Digitalisierung im Gesundheitsmarkt?
Digitalisierung ist keine Fassade
Digitalisierung bedeutet ja im Kern, etwas Analoges in die digitale Welt zu übertragen. Häufig ist damit die Übersetzung oder Neudefinition von analogen Prozessen gemeint. Gerade das Beispiel der Prozesse zeigt, dass oftmals einfach eine digitale Fassade vor einen analogen Prozess gebaut wird und man Prozessoptimierung vergeblich sucht.
Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Einreichung einer Arztrechnung an die Krankenversicherung. Klassischerweise geschah dies ausschliesslich per Post. Sie schickten den Beleg an die Krankenversicherung, hörten dann lange nichts, erhielten eine Bestätigung der Krankenkasse und später wurde der Betrag kommentarlos auf das Konto überwiesen. Man könnte nun einfach den Prozess der Einreichung eines Belegs auf den digitalen Kanal bringen und die Verarbeitung wie bisher belassen. Dies würde jedoch das Potenzial der Digitalisierung weder ausschöpfen noch den Anforderungen von Kunden gerecht werden, die beispielsweise den Status ihrer Abrechnung wissen wollen. Dabei verschenkt man auch viel Potenzial für Effizienzsteigerungen im Unternehmen selbst.
Digitalisierung gegen aussen und innen
Ein ideales Szenario könnte so aussehen: Unmittelbar nach dem Einreichen des Belegs erhält der Kunde auf seinem Bildschirm die Antwort, ob bzw. in welchem Umfang der Betrag gedeckt ist, und sein Geld wird sofort ausbezahlt. Falls der Beleg zusätzliche Klärung benötigt, erhält der Kunde den Status und kann sich Fragen direkt über den digitalen Kanal beantworten lassen.
Was bedeutet das für eine Krankenversicherung? Eine unmittelbare Antwort ist nur möglich, wenn der bisher manuelle Prozess vollständig automatisiert wird. Das heißt, dass eine eingereichte Rechnung maschinell innert Sekunden ausgewertet und mit den Versicherungsleistungen verglichen werden muss - entweder automatisch nach klassischen Regelwerken oder modern mit Hilfe der KI. Und dies sollte zu jeder Tag- und Nachtzeit möglich sein. Es bedarf also eines hochverfügbaren IT-Fundaments mit einer hohen Dunkelverarbeitungsquote. Die internen Mitarbeiter müssen eng in den Prozess eingebunden sein und auf der gleichen Datenbasis operieren wie der Kunde selbst. Erst dadurch ist es ihnen möglich, ihre Arbeit durchweg zielgerichtet, systemgestützt, mit maximaler Effizienz und somit auch kostengünstig für das Unternehmen durchzuführen. Und nicht zuletzt müssen auch andere Systeme wie das Accounting-System online verfügbar sein. Digitalisierung gegen aussen bedeutet also immer auch Digitalisierung im Inneren.
Digitalisierung in der Breite
Während das oben beschriebene Szenario zum Teil bereits heute von vielen Krankenversicherungen aufgegriffen und teilweise umgesetzt wird, gibt es in anderen Bereichen weiteres Potenzial für die Digitalisierung. Der Gesundheitsmarkt in der Schweiz ist stark fragmentiert, so dass die Effizienz der Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten ein wesentlicher Kostentreiber ist und von der Digitalisierung stark profitieren könnte. Hier gilt es, eine "Journey"-Sicht einzunehmen und einzelne Vorgänge detailliert in beide Richtungen zu durchdenken: Welche Übergänge zwischen den Beteiligten sind häufig oder komplex? Wie können diese, analog dem obigen Beispiel, ganzheitlich sowohl gegen innen also auch gegen aussen angegangen werden?
Beispiele hierfür gibt es einige. Von der simplen Terminvereinbarung, über Überweisungen, eventuell sogar der Behandlung in der Telemedizin bis hin zur Kostengutsprache im Spital hat die Digitalisierung noch viel Potenzial. Dies wird aber nur funktionieren, wenn alle Beteiligten im Sinne eines Ökosystems zusammenarbeiten und alle die Digitalisierung als die Chance sehen, die sie darstellt. Smarte Investitionen in eine Architektur für Digitale Transformation sorgen daneben auch dafür, dass ein belastbares Fundament geschaffen werden kann. Damit gelingt der Schritt in ein digitales Gesundheitssystem, getreu unserem Motto: Making Digital (Health) Work.